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Ganz Berlin als ein Anti-Kriegs-Museum

Artikel von Philipp Sonntag für das Netzwerk Zukunft vom 19.11.2021

Kurz nach dem II. Weltkrieg suchte Robert Jungk in dem breiten Trümmerfeld in Berlin vergebens nach einem Überbleibsel des Anti-Kriegs-Museums. Da erschien ihm ganz Berlin als eine Art unfreiwilliges Museum über Kriegsfolgen. Jungk sah genau das, wovor ab 1925 in einem kleinen Museum in Berlin gewarnt worden war: Das Anti-Kriegs-Museum war 1925 von dem Berliner Pazifisten Ernst Friedrich gegründet worden. Mit seiner Fotodokumentation „Krieg dem Kriege“ hatte er die Grauen des Ersten Weltkriegs angeklagt. Seine Sammlung wurde 1933 von den Nationalsozialisten zerstört.

Das aktuelle Museum

1982, 15 Jahre nach seinem Tod, wurde das Anti-Kriegs-Museum erneut eröffnet. 2021 wird es von Friedrichs Enkel Tommy Spree geleitet, siehe www.anti-kriegs-museum.de

Das Museum zeigt Fotos, Dokumente und Objekte aus beiden Weltkriegen, darunter Orden, kriegsverherrlichende Postkarten, Tagebücher und Briefe von Soldaten und Fotos von Schwerverletzten. Zu sehen ist außerdem Kriegsspielzeug aus den vergangenen Jahrhunderten. Eine große Weltkarte informiert über aktuelle Krisenherde. Das Museum geht auch auf moderne Kriegswaffen wie chemische und biologische Kampfstoffe ein. Und es präsentiert mannigfach die Auswirkungen von Atomwaffen. Da kann man nur voller Sorge hoffen, dass dies nicht wiederum eine Art Prognose kommender Vernichtung von Berlin – und global – sein wird.

Man darf – trotz aller Beklemmung – wenigstens etwas stärker hoffen, nachdem die Anzahl der in Deutschland stationierten Atomwaffen der NATO am Ende des Kalten Krieges verringert wurden. Vorher gab es in Deutschland eine schier unfassbar große Menge Atomwaffen. Obwohl wir wissen: Jeglicher Versuch einer Verteidigung von Deutschland mit Atombomben der NATO würde unser Land kaum anders zerstören als ein Angriff mit Atombomben auf uns. 1964-1971 habe ich das in allen Details untersucht, im Rahmen der VDW (Vereinigung Deutscher Wissenschaftler), bei der von Carl Friedrich von Weizsäcker geleiteten Kriegsfolgenstudie (Carl Friedrich von Weizsäcker (Hrsg.): „Kriegsfolgen und Kriegsverhütung. Hanser München, 1971).

Die Dynamik der Eskalation

Die Menschheit stolpert immer wieder in Kriege. Moderne Elektronik verschärft das Problem. Moderne Rüstungsentwicklung führt zu ungewollten Eskalations-Risiken. Dabei wird stufenweise ein Krieg immer schlimmer. Für „Kommando und Kontrolle“ werden Unsummen Geld ausgegeben. Mit der Komplexität steigen Steuerbarkeit und Störbarkeit (Peter Otto und Philipp Sonntag: Wege in die Informationsgesellschaft - Steuerungsprobleme in Wirtschaft und Politik. München dtv, 1985, 340 S.).

Die Konzentration auf Cyber-War erhöht die Störbarkeit laufend enorm. Nach jeglichem Kriegsbeginn geht die größte Gefahr von einem im Krieg chaotischen Einsatz von Atomwaffen aus.

Wirkungsvoll „Anti-Krieg“ war die Erklärung der „Göttinger 18 Atomphysiker“, Fazit: „Wir weigern uns, Atomwaffen zu bauen“. Dafür war noch ein zweiter Schritt hilfreich, die „Kriegsfolgenstudie“ (Carl-Friedrich von Weizsäcker (Hrsg.): „Kriegsfolgen und Kriegsverhütung. Hanser München, 1971). Ich war für die Computerprogramme zur Schadensermittlung verantwortlich, wir untersuchten die Schäden sowie die Dynamik der Eskalation. Wofür wir damals unsere Vorstellungskraft bemühen mussten, waren mögliche Kriegsschauplätze. Sie sind inzwischen teils bekannt. Ein Beispiel beschreibt Andreas Conrad am 26.10.2021 im Berliner Tagesspiegel, S. 26: „Die geheimen Bombenpläne der Amerikaner“: Da gab es aus Sicht des Strategic Air Command (SAC) der USA in den fünfziger Jahren, als „ein lohnendes Ziel“ unter vielen, das Hauptquartier der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland, ein Gebäude in der Karlshorster Waldowallee.

Solche Planungen für den Atomkrieg unterliegen generell der höchsten Geheimhaltungsstufe. Vor einigen Jahren aber war die bereits 1956 erstellte „Atomic Weapons Requirements Study for 1959 … SM129-56“ des Strategic Air Command (SAC) de-klassifiziert und damit öffentlich zugänglich geworden. Eine weitere SAC-Studie nennt zu Ost-Berlin 68 Punkte wie „Werkzeugmaschinen“, „Rubber Tires“, „Eisenbahnreparaturbetriebe“ oder auch pauschal „Bevölkerung“ als Ziele, die mit drei Atomschlägen ausradiert werden sollten. Hinzu kamen Ziele in Brandenburg. Von Westberlin wäre, vor allem wegen Fallout, kaum etwas bewohnbar geblieben.

Neu ist derzeit der politisch „genüsslich geduldete Hochverrat“, indem ehemalige Generalstäbler und andere in hohen Gremien der NATO ihre „Military Thriller“ schreiben, in vielem realistischer als wissenschaftliche Beiträge auf „Sicherheitskonferenzen“. Es ist suggestiv in Richtung Aufrüstung und Gewalt. Das ist gefährlich, da wird Eskalation dramatisiert!

Ein Beispiel: Richard Shirreff: War with Russia – an urgent warning from senior military command“, Coronat (2016), ein Roman und Bestseller, der sich moralisch gibt: Wehe wenn man dem expansiv agilen Putin nicht rechtzeitig mit entschlossener konventioneller Aufrüstung Kontra gibt – dann wird alles „romanhaft“ eskalieren. Richard Shirreff hatte als Britischer General eine hohe Position in der NATO. Er beschreibt die während sich ausdehnenden Konflikten in Europa vorstellbaren Besprechungen in den Entscheidungsgremien von NATO und Russland authentisch und realistisch, so wie das sonst niemand könnte. Da geht es unmittelbar um Entscheidungen über Krieg und Frieden – um die Schwelle zum III. Weltkrieg, um die Eskalation in den Atomkrieg. Da geht es romanhaft (auf Seiten 389 ff) darum, für wie viele Stunden ein umfangreicher NATO-Angriff die Kommandozentralen Russlands außer Gefecht setzen könnte mit Details wie: Kann es sein, dass russische Gegenangriffe durch „verwirrte“ russische Abwehr-Raketen abgeschossen würden – zumindest vorübergehend?

Mehr Rüstung schafft per se mehr Komplexität und so unvermeidlich schwerer zu steuernde Eskalationsvermeidung. Politisch geht es um eine emotionale Verarbeitung der „Flexible Response“, also um die Vermeidung jeglichen Versuchs, auf jedem Ausmaß eines Krieges immer eine enorme Stärke für Kriegführung zu haben und dabei unweigerlich eine ausgeprägte Kriegsbereitschaft vorzubereiten und einzuüben.

Russland entscheidet im Roman als souveräne Macht und erscheint als kompromisslos gewaltbereit. Ganz anders die NATO mit ihren 28 Staaten – da können Ungarn und Griechenland „als Freunde Russlands“ jederzeit in den Gremien von EU und NATO ein Veto einlegen und somit Aktionen zumindest verzögern.

Offen diskutiert wird seit Jahrzehnten, dass die konventionellen Streitkräfte der vielen Nationen schlecht koordiniert und so unnötig teuer sind. Klar ist, würde der Westen seine Wirtschaftskraft in die NATO ähnlich radikal – und lokal eskalationsbereit –investieren wie Russland, dann wäre die Überlegenheit des Westens auf jeder Eskalationsebene stark.

Neu im „Roman“ ist die Schilderung einer „Logik“ hoher Kriegsbereitschaft bei und trotz extremer Zerstörung auf beiden Seiten.

Anti-Krieg erfordert Anti-Eskalation

Kriegsvermeidung gelingt, indem man das gemeinsame Interesse von NATO und Russland betont, die Zerstörungen zu vermeiden. Unmittelbar ist das auch das Interesse der vielen Staaten im Grenzbereich. Kalte Krieger sehen das so: Im Roman werden russische Raketenangriffe auf Berlin und Warschau ganz offen diskutiert (auf Seite 385). Putin zu einem neuen Rüstungswettlauf zu provozieren, ist für ihn und uns gefährlich. Weit wirkungsvoller als Waffen könnte sein, wenn wir Russland mit uns wirtschaftlich verflechten, so wie es China global versucht. Indem wir viel Gas aus Russland abnehmen, sind wir ein wertvoller Kunde für Putin – es lohnt für ihn nicht, uns zu zerstören. Wir müssen eine Expansion aufhalten, gegen Menschenrechtsverletzungen protestieren – aber zögerliche Sanktionen und „Bestrafungen“ sind wahrscheinlich wirkungslos – auch emotional. Kriegsverhütung ist vor allem emotional. Ich möchte es selbst auch mal romanhaft ausdrücken: der junge Putin war lange in Leipzig, wenn er dort eine Geliebte gehabt hatte, könnte das ihn heute mehr zögern lassen, als all die Angst vor militärischen Niederlagen, an die er sowieso nicht glaubt.

In einem seiner letzten öffentlichen Auftritte beim VDW betonte Egon Bahr den Cyberwar als aktuell große Gefahr, besonders in Verbindung mit Atombomben. Im Rahmen der VDW war 1964 bis 1971 die Eskalationsgefahr besonders untersucht worden: Sie ist weder technisch, noch militär-strategisch, noch politisch kontrollierbar.

Heute ist unsere einzige Hoffnung die gemeinsame Erkenntnis potenzieller Kriegsgegner, dass das gemeinsame Interesse gegen die Zerstörungen gemeinsam vorrangig zu sein hat. Ein Chaos würde allein schon entstehen, wenn beide Kontrahenten am Anfang versuchten, jeweils die Führungsstäbe der Gegenseite zu zerstören. Jegliche Versuche einer De-Eskalation zu einem Waffenstillstand wären dann weitgehend unmöglich geworden.

Seit 55 Jahren höre ich das Argument, durch die atomare Abschreckung seien konventionelle Kriege verhindert worden. Allerdings, gerade weil die größten Mächte sich halbwegs sicher fühlen, gibt es besonders viele „Stellvertreter-Kriege“ und viele Ebenen von Gewalt – der Export von Waffen ist gigantisch. Das Ausmaß der Gewalt ist durch die Medien breit bekannt. 2019 gab es 158 gewaltsame Krisen und davon waren 27 bewaffnete Konflikte und Kriege, zumeist in Afrika. Eine Ursache: Bei der Gründung der Vereinten Nationen haben sich die Mitgliedsländer ihre Macht für Interessenpolitik bewahrt. So wird Aufklärung und Bestrafung von Kriegsverbrechen systematisch verhindert.

VM – die Vereinten Menschen

Global gibt es durchaus ein Bewusstsein für erforderliche strukturelle Veränderungen. Bis zu wirklich „Vereinten Menschen“, den „VM“, ist noch viel zu tun. Ein zukunftsweisender Lichtblick ist, dass es erstmals gelingen konnte, kriminelle Verantwortliche, sogar Staatsoberhäupter, vor einem internationalen Gericht zur Verantwortung zu ziehen. Die mehrjährige Chef-Anklägerin beim „Internationalen Gerichtshof in Den Haag“ hat aus eigener Erfahrung über Hindernisse und Erfolge ein Buch geschrieben:

Carla Del Ponte: „Ich bin keine Heldin – Mein langer Kampf für Gerechtigkeit“, Westend Verlag, Frankfurt/Main, 2021.

Sie schrieb auf Seite 9/10, zu Serbien und Ruanda:

„Mit Slobodan Milosevic musste sich erstmals ein ehemaliges Staatsoberhaupt vor Gericht für schwere Kriegsverbrechen verantworten. Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Massaker und Deportationen legte ihm die Anklage zur Last. Und beinahe die gesamte Regierung Ruandas, die für das grausame Abschlachten der Tutsi verantwortlich war, stand vor Gericht. In nur etwa 100 Tagen im Jahr 1994 hatten Angehörige der Hutu-Mehrheit rund 75 Prozent der Tutsi-Minderheit getötet, ebenso wie moderate Hutu, die sich nicht am Völkermord beteiligen wollten. Erstmals gab es vor einem internationalen Gerichtshof 1998 eine Verurteilung wegen Völkermords. Ein Meilenstein. … 90 Angeklagte sprach man im Jugoslawien-Tribunal schuldig, 62 im Ruanda-Tribunal.“

Als zukunftsweisend betont Carla Del Ponte die aktuelle Weiterentwicklung des Völkerstrafrechtes, insbesondere durch ein 1998 verabschiedetes „Rom-Statut“, welches 123 Staaten unterzeichnet und ratifiziert haben. Die USA hatten es zwar unterzeichnet, aber danach nicht ratifiziert, so bleiben für Kriegsverbrechen verantwortliche Amerikaner außen vor. Verbrecherische Diktatoren können sich meistens erst mal schützen. Es muss dann intern wesentliche Veränderungen geben, oder starke Eingriffe von außen, bevor eventuell eine Auslieferung von Angeklagten gelingen kann. Und die Vereinten Nationen haben keine von allen Staaten respektierte „Welt-Polizei“.

Den finanziellen Aufwand für Kriegsvorbereitung schätze ich auf das Tausendfache im Vergleich zu den – zumeist ehrenamtlichen – Bemühungen um Kriegsvermeidung. Ein Beispiel sind die War Resisters‘ International“, siehe wri-irg.org/en

Im Oktober 2021 konnte, so auch im Anti-Kriegs-Museum, das hundertjährige Jubiläum von WRI gefeiert werden. Sogar Cathryn Clüver Ashbrook, die Direktorin der regierungsnahen DGAP (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik) mahnt (Berliner Tagesspiegel 2. 11. 2021, S. 7): „Die deutsche Sicherheitspolitik ist noch immer unterfinanziert“, und sie will „die Funktionalität von Diplomatie und Außenpolitik verbessern“, auch um Pannen wie in Afghanistan zu vermeiden. Akut wäre wichtig, den starken Waffenexport zu verhindern. Immerhin, Deutschland ist kein ausgesprochener Kriegstreiber mehr – der Außenminister bemüht sich, global eine Art Friedensvermittler zu sein.

Das Netzwerk der Museen für den Frieden

Aber um das globale Morden grundlegend zu überwinden, braucht man grundsätzlichere Überlegungen als jene, die aus Institutionen kommen, welche von Regierungen finanziert werden. Solche Überlegungen gibt es in einem globalen Netzwerk der Museen für den Frieden, siehe www.ipb.org/members/international-network-of-museums-for-peace und am Anfang der Satzung wird die Absicht klar:

„Artikel 1: Name = Der Name dieses Netzwerks soll International Network of Museums for Peace, abgekürzt INMP, sein.

Artikel 2: Zwecke = INMP, eine gemeinnützige Organisation, möchte zum Weltfrieden beitragen, indem sie die Arbeit von Museen, Galerien und Bibliotheken stärkt, die sich für den Frieden einsetzen, internationale Konferenzen organisiert, Informationsmedien voll nutzt und Publikationen herausgibt, um die Zusammenarbeit zwischen Museen, Bibliotheken und Galerien, die sich für den Frieden einsetzen, zu unterstützen. Diese werden in dieser Satzung gemeinsam als „Museen für den Frieden“ bezeichnet. Dazu gehören auch Forschungs-, Ausbildungs- und Bildungsprojekte.“

Mit dazu gehört das Anti-Kriegs-Museum in Berlin. INMP, das Internationale Netzwerk der Friedensmuseen wurde 1992 gegründet, als die erste Internationale Konferenz der Friedensmuseen an der „University of Bradford“ in England stattfand. In Japan gibt es viele Friedensmuseen.

Jeder Beitrag ist wichtig, ein Beispiel aus lokalen Aktivitäten in Berlin: Das NETZWERK ZUKUNFT e.V. ist Träger von 12 Projekten 2020, die im Rahmen unterschiedlicher Förderer und in Kooperation mit der Jugendhilfe Neukölln, der Telekom Stiftung, des „Deutsche(n) Volkshochschulverband e.V.“ und der „Jugend und Familienstiftung des Landes Berlin (JFSB) durchgeführt werden. Bei den von Michael Sommer geleiteten Projekten geht es vor allem um Weiterbildung für junge Menschen in Bereichen der Gewaltfreien Kommunikation. Das umfasst Bereiche von „Das Baby verstehen“ über die Integration von jugendlichen Migranten bis hin zu sozial thematisierten Computerspielen.

Unsere besondere Verantwortung in Berlin: Die erste Atomwaffe wurde gegen Berlin entwickelt. Drei Monate nach der Kapitulation von Deutschland wurde sie in Hiroshima eingesetzt. Die Entwicklung geschah aus Angst vor einer deutschen Atombombe – die es nicht gab und die schließlich nach dem Krieg durch die „Göttinger 18“ Atomphysiker, durch Albert Schweitzer und mit weiteren Engagements bis heute verhindert wurde. Unsere Tradition mit dem Ziel einer Abrüstung von Atomwaffen muss weiter geführt werden.

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