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Balance

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„Prognosen sind falsch.“ Etwa so sagen es mächtige Politiker. Sie wissen, dass gerade sie in die Prognosen gezielt (und für Futurologen überraschend) eingreifen könn(t)en. Aber sie verdrängen: Ein zukünftiges Chaos (zum Beispiel manche der möglichen Klimakatastrophen) würde ihre Macht stören oder gar beenden. Die Verhinderung des Chaos würde jetzt Euros und Opfer kosten – im Chaos gäbe es jedoch vielleicht keine Wirtschaft, keine Euros mehr. Das wollen sich gerade die Mächtigen kaum vorstellen. Sonst hätten sie zum Beispiel längst ideologische Streitereien, wie zwischen Linken und Rechten, zwischen Wirtschaft und Umwelt usw. beendet – und damit beste Voraussetzungen für eine bessere Zukunft geschaffen.

Genau dafür fordert Ernst Ulrich von Weizsäcker „wie bei Adam Smith - eine Balance zwischen Recht und Macht.“, ebenso eine Ausgewogenheit zwischen Markt und Staat, Mensch und Natur, Leistungsanreizen und Gerechtigkeit. Siehe hierzu ein aktuelles Interview: „Glänzende Ökonomie, darbende Ökologie“, Tagesspiegel 20. 4. 2018, Seite 16 – Die Fragen stellte Alexander Mäder).

Mangelnde Balance bewirkt eine Nähe zum Chaos, so bei laufend deutlicheren Klimaveränderungen. Zukunft hat vor allem der Politiker, der einen fairen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Positionen, Interessen, Gegensätzen schafft. So eine Moderation ist mit harter Arbeit und zielführender Neutralität verbunden. Die Zukunftswerkstätten von Robert Jungk sind dafür ein brauchbares Werkzeug.

Ein prominentes Beispiel fehlender Balance sind die Probleme mit den Religionen. Was trennt, sind dogmatische Glaubenssätze und deren bürokratische Umsetzung. So hat die katholische Kirche noch nicht begonnen, die Ursachen der pädophilen Übergriffe zu beseitigen. Sie übt Druck auf Priester aus, anstatt zum Beispiel das Zölibat zu beendigen. Das ist strukturelle Gewalt (gemäß Galtung). Und wo es wortgetreuen Glauben an alte Schriften gibt, ist der Weg zu direkter Gewalt bis hin zu Terrorismus nicht weit. Indem wie üblich hundert Religionen meinen sie hätten das Monopol auf Wahrheit und Gottesnähe, da könnte bestenfalls eine einzige stimmen, die jedoch dann von den 99 anderen bezweifelt würde.

Natürliche Religiosität schließt Willkür aus. Wo man Schriften mit Verständnis liest, etwa: „einer trage des anderen Last“, da sind Menschen gleichwertig, in friedlicher Balance. So kann eine Wiedervereinigung der Religionen zu einer modernen Art natürlicher Religiosität möglich werden. Was Religionen – und Menschen – trennt sind wortgetreuer Glauben und somit dogmatische Glaubenssätze. Das ist nicht zukunftsfähig. Toleranz eröffnet Optionen bis in Details, dann werden Legenden wie Bibel, Koran usw. wertvoll als Quelle für breit nachvollziehbare Kultur, als Tradition, die man ohne Schaden pflegen kann. Die Entzückungen, Extasen, märchenhaften Erleuchtungen eines Augustinus sind global nachvollziehbar.

Ein weiteres Beispiel ist der technische Fortschritt. Es ist schwer ihn zu steuern oder gar einzudämmen. Für den Futurologen ist es eine Herausforderung, wie all die ohnehin schon rätselhaften technischen Eventualitäten sozial und emotional wirken können und wie man da eingreifen kann. Emotional? Was wird möglich, wenn ein Futurologe einen Roman schreibt? Ein anregendes Beispiel ist Werner Mittelstaedt: „Tipping Point – Ein Roman über den Klimawandel“ (im Noel Verlag, 127 Seiten, 2017). Da wird deutlich, wie eine nicht mehr aufzuhaltende Erderwärmung die Betroffenen – deren „Menschenbeben“ schon Robert Jungk betont hat – soweit herausfordert, dass sie die eigene verdrängte Verantwortung nun – plötzlich – spüren und praktisch einsetzen.

Mit Goethe, Faust Teil II, gilt: „Wer immer strebend sich bemüht, Den können wir erlösen.“ Mein Eindruck: Gemeint sind unermüdliche, mit Instinkt und Klugheit zielführende, eigenen Verzicht erlaubende, aus unstillbarer innerer Unruhe kommende Bemühungen.

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