Anhaltspunkte für den deutschen Umgang mit Atomwaffen
Philipp Sonntag / www.philipp-sonntag.de / 1UmgangmitAtomwaffenB.doc / 6. 3. 2022
Die „Göttinger 18“ deutschen Atomphysiker hatten 1957 Adenauer jegliche Unterstützung zu einer deutschen Atomwaffe verweigert. Bis heute besteht dieses Tabu. Ein weiteres Tabu besteht weltweit: Seit den Schäden durch zwei Bomben 1945 in Japan wurden niemals Atomwaffen eingesetzt.
Neu sind die Drohungen von Putin mit „Abschreckungswaffen“, was den nuklearen Anteil bewusst unklar lässt. Während die russischen Streitkräfte die Gebiete um die AKW in Tschernobyl und Saporischschja besetzt haben, kontern die Länder der NATO mit konventioneller Aufrüstung. Jegliche nukleare Drohung wird von den Ländern der NATO vermieden.
Die nukleare Teilhabe von Deutschland
Die Fakten der nuklearen Abschreckung sind bekannt und bleiben unverändert. Dazu hatte es lebhafte Diskussionen im Bundestag gegeben, so zwischen Fritz Erler, Helmut Schmidt und Franz Josef Strauß am 29./30. 11. 1965. Nach wie vor gilt: In Deutschland können amerikanische Atombomben rasch für deutsche Piloten einsatzbereit gemacht werden. Auffallend ist hierzu die jahrzehntelange Zurückhaltung der deutschen Militärpolitik:
- Es fehlt die grundlegende demokratische Diskussion über die deutsche Militärstrategie, obwohl laufend neue Kriegsszenarios möglich sind, mit entsprechend unterschiedlichen Anforderungen an unser Verhalten.
- Unsere Teilhabe an der Abschreckung wird nur ganz allgemein betrachtet. Immerhin, wir bedrohen niemand.
Diese Pflege der deutschen Zurückhaltung (Verantwortungslosigkeit?) wird deutlich im „WEISSBUCH 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr“: Die Worte Atomwaffe und Atombombe kommen kein einziges Mal vor, der Begriff „nuklear“ zwar dreizehnmal, jeweils nur allgemein, so im Kontext „nukleare Teilhabe“.
Wie könnte Deutschland jetzt mit dazu beitragen, dass Putin einen nuklearen Einsatz vermeidet? Immerhin, Putin könnte eine begrenzte „nukleare Demonstration“ wagen, soweit er sicher sein kann, genauer: „sich sicher fühlt“, dass dies nicht zu einem Atomkrieg eskaliert.
Auf jeden Fall ist die momentane Einigkeit und Entschlossenheit der NATO wichtig. Und wir? Aus Sorge, dass unsere Beitrags-Bereitschaft nicht glaubwürdig wäre, wurden bereits hundert Milliarden Euro und die von USA verlangten zwei Prozent des BSP jährlich (!) versprochen. Richtig ist, endlich eine brauchbare konventionelle Einsatzfähigkeit der Bundeswehr zu gewährleisten. Allerdings hat die gigantische Überlegenheit der NATO Putin bisher nicht aufgehalten.
Umgang mit Atomwaffen vor 50 Jahren
Strukturell anders ist die atomare Abschreckung zu betrachten! Für jegliche Situation müssen wir in der BRD die atomaren Risiken kennen und auf Antworten vorbereitet sein. Das gilt ebenso für den Beginn wie für die Ausweitung (Eskalation) eines Krieges, in dem der Einsatz von Atomwaffen erwogen – oder bereits begonnen – wurde.
Genau dafür haben die „Göttinger 18“ gezielte Vorarbeit geleistet. Sie gründeten die VDW (Vereinigung Deutscher Wissenschaftler e. V.) und untersuchten 1964-1971 die Dynamik der Risiken systematisch und detailliert, mit dem Resultat: Carl-Friedrich von Weizsäcker (Hrsg.): Kriegsfolgen und Kriegsverhütung. Hanser München, 1971, 699 Seiten.
- Meine Verantwortung war dabei die Ausarbeitung der Computerprogramme beizutragen:
- sowohl für die Auswirkungen von denkbaren Atomkriegs-Szenarios in Deutschland
- als auch für die Dynamik der Eskalation, und Versuche, eine politische Kontrolle von Atomwaffen zu bewahren.
Es wurde damals bald klar:
Atomwaffen sind nach Beginn eines Atomkrieges weder technisch, noch militärisch, noch politisch kontrollierbar. Mit laufend verfeinerter Militärelektronik wird zwar (im Frieden) die Steuerbarkeit erhöht, zugleich leider umso mehr die Störbarkeit und wechselseitige Zerstörbarkeit (im Chaos eines begonnenen Krieges) Eine derart spezielle Aussage war für eine öffentliche Diskussion schwer vermittelbar. Nach Publikation all der Fakten mussten wir eine neue Herausforderung erkennen: Wie soll eine deutsche Militärpolitik pragmatisch mit den vielen Fakten umgehen? Die vier damals in der VDW dafür hauptsächlich engagierten Wissenschaftler wurden ergänzt: Sie bildeten 1972 mit dem Journalisten Christian Potyka ein neues Team. Daraufhin gab es im Team bald eine uns selbst verblüffende Menge Streit (stärker als in den Jahren 1964-1971 zuvor) darüber, was denn nun zu tun sei.
Wir zwangen uns schließlich bewusst dazu, die Resultate als pragmatische Anhaltspunkte auf der Rückseite eines Taschenbuches, knapp und klar, zu formulieren. Diese haben seitdem die breite Rüstungs-Entwicklung geradezu bis heute charakterisiert, deshalb notiere ich sie hier ungekürzt: „Horst Afheldt, Christian Potyka, Utz-Peter Reich, Philipp Sonntag, Carl Friedrich von Weizsäcker: Durch Kriegsverhütung zum Krieg – Die politischen Aussagen der Weizsäcker Studie „Kriegsfolgen und Kriegsverhütung: Hanser, 1972, 178 Seiten.
Auf der Rückseite:
- THESEN
- Die Bundesrepublik ist mit konventionellen Waffen nicht zu verteidigen.
- Der Einsatz nuklearer Waffen in der Absicht der Verteidigung der Bundesrepublik würde zur nuklearen Selbstvernichtung führen.
- Für die Bundesrepublik gibt es nur eine in sich widerspruchsvolle Abschreckung (Abschreckung durch für beide Seiten unkalkulierbares Risiko).
- Zwischen den Supermächten gibt es heute eine in ihrer militärischen Logik widerspruchsfreie Abschreckungsstrategie.
- Die Abschreckung zwischen den Supermächten führt (aber) zum Wettrüsten.
- Das Wettrüsten führt zur Erhöhung des Kriegsrisikos.
- Der Versuch, durch Rüsten das Abschreckungsgleichgewicht zu erhalten, lähmt die Supermächte politisch und militärisch.
KONSEQUENZEN
A. Gerade die Fragwürdigkeit des Abschreckungssystems eröffnet der Bundesrepublik einen Spielraum, rüstungspolitische Entscheidungen als Mittel der Außenpolitik einzusetzen.
B. Bei der Beurteilung jeder Politik hat heute der Beitrag zur Schaffung eines politisch gesicherten Weltfriedens die erste Priorität.“
Dies war 1972 grundlegend. Ist es 2022 weiterhin geeignet, um, die Gefahren zu kennen und Anhaltspunkte für den Einfluss des militärpolitischen Verhaltens zu präzisieren? Seit 1972 verändert ist die zunehmende Beachtung der Konsequenz „B“, am deutlichsten schließlich von unserer aktuellen Regierung in der BRD. „B“ lag Carl Friedrich von Weizsäcker besonders am Herzen. Ihn schmerzte zu seinen Lebzeiten die geringe Beachtung. So glaubte er nicht, dass die Abschreckung jahrzehntelang (etwa bis 2022) gelingen könnte.
Nukleare Risiken heute
- Ich wende nun Details unserer Ergebnisse auf die aktuelle und mögliche weitere Entwicklung in Osteuropa an, als Veranschaulichung, was für eine Art von nuklearen Risiken für Deutschland nach wie vor relevant sind:
- Man kann einen Gegner nicht entwaffnen, denn man kann dessen atomaren Gegenschlag nicht begrenzen. Der Versuch eines präventiven Angriffs würde nur einen vernichtenden Gegenschlag provozieren. Sogar der Versuch eines Entwaffnungs-Schlages gegen relativ kleine Atommächte wie Nordkorea wäre riskant. Es gibt keine „atomare Verteidigung“, sondern nur eine riskante Abschreckung. Dieses Dilemma gilt „strategisch“ (bezüglich einer Vernichtung von Groß-Städten) ebenso, wie taktisch (bei der Bekämpfung gegnerischer Streitkräfte).
- Strategisch: Die Unsicherheit durch Kombination von Cyber-War (Militärelektronik) mit Atombomben ist längst viel schlimmer, als in der Lage vor 1972. Schon damals hatten wir als Input die Treffer-Wahrscheinlichkeit von Abwehrraketen in unseren Analysen systematisch variiert, von Null über zehn Prozent, 20 Prozent usw. bis hundert Prozent. Waren wir verrückt? Nein, die militär-elektronischen Netze und Kampfmittel störten je nach Kriegsszenario die gegnerische Militärelektronik derart, dass jegliche Annahme von Null bis hundert vorstellbar war. Das galt sogar bis hin zur Beurteilung der Wirkungskraft einer einzelnen Rakete (auch Abwehr-Rakete) in ihrer Vernetzung. Als Output kam heraus, dass Stabilität, dass jeglicher Versuch einer Kontrolle von Eskalation, ein Ding der Unmöglichkeit war – schon damals. Und der beste Geheimdienst kann nicht herausfinden, was der gegnerische Militär-Ingenieur selbst nicht weiß – was er nicht wissen kann.
- Taktisch: Befürchtet wird aktuell, dass Putin einen – zunächst konventionellen – Angriff auf die Baltischen Staaten beginnt. Die NATO würde gegenhalten. Flugzeuge beider Seiten würden bei Bodenkämpfen eingreifen. Rasch würden daraufhin die Flugplätze beider Seiten angegriffen. So wie sich Putin verhält, wissen wir nicht, ob auf seinen Flugplätzen auch Atomwaffen einsatzbereit sind – und Putin würde umgekehrt ganz entsprechende Befürchtungen haben. Ein üblicher militärischer Reflex ist, eigene bedrohte Waffen einzusetzen, „bevor es zu spät ist (use them or loose them)“. Hinzu kommen Risiken, durch die im anfänglichen konventionellen Krieg teil-zerstörten Kommando-Zentralen und -Netze, sowie weitere Unsicherheiten durch „Cyber-war“ und durch stark irritiertes menschliches Verhalten auf den Schlachtfeldern. Dabei ist vieles „menschlich“: Wenn ich als Soldat in einem Bunker vor einem Knopf zur Auslösung eines Angriffs sitze und jeden Moment auf die Auslöschung meines Lebens gefasst sein muss – ebenso wie mein Gegner – dann liegt nahe, den Knopf zuerst zu drücken. Was die Verinnerlichung solcher Reflexe bei der USA betrifft, kennen wir (kennen die Indianer) dies aus Filmen über den „Wilden Westen“ (Motto erst schießen, dann reden …). Im atomaren Kriegs-Bereich reagieren neuerdings Militär-Experten in manchen Situationen vorsichtiger, als so manche Politiker, wobei Putin dafür sorgt, dass er besonders schwer einzuschätzen ist.
- Eine politische Kontrolle des Ausmaßes von Schäden ist schon bei „begrenzten“ Angriffen höchst unsicher: Wir berechneten 1964-1971, was eine einzige Atombombe bei Zerstörung einer Autobahnbrücke bei Königslutter (damals „gegen russische Panzer“) anrichten könnte. Allein schon kleine Veränderungen der angenommenen Windrichtung wären dafür entscheidend, ob Braunschweig, oder Wolfsburg, oder „nur ein paar Dörfer“ von tödlichem Fallout betroffen würden. Allein schon, wenn man eine Zeit lang das VW-Werk nicht mehr betreten dürfte, wäre neben aller Verzweiflung der Opfer zusätzlich noch ein wirtschaftlicher Schaden bemerkenswert. Siehe unsere zeichnerische Darstellung hierzu auf https://de.wikipedia.org/wiki/Atomkrieg
- Könnte Frankreich für Europa abschrecken? Wohl kaum, denn die strategischen Waffen auf französischen Atom-U-Booten würden erst nach Zerstörungen im Gebiet von Frankreich eingesetzt. Ebenso kaum bei den taktischen Atomwaffen, diese waren (siehe damals die Einsatzbereitschaft von Pluton) nur für einen Einsatz exakt im Gebiet von Baden-Württemberg vorgesehen. Politisch wird sowas ungern diskutiert, nicht mal im Zivil- und Katastrophen-Schutz. Als ich vor Jahrzehnten in Baden-Württemberg diesen Sachverhalt etwa hundert Förstern erklärte, waren Überraschung und Betroffenheit groß. Militärpolitische Überlegungen dazu hatte es in der BRD kaum gegeben. Bei der aktuellen Unterstützung der französischen Reaktoren wurde in der EU weder deren Nutzung für Atombomben, noch die zugehörige militärpolitische Planung diskuti ert.
- Mit die größte Unsicherheit ist der Einfluss des menschlichen Faktors bei den Machthabern. Ich stellte 1981 Ergebnisse der psychischen Instabilität von entscheidenden Politikern zusammen, insbesondere von amerikanischen Präsidenten: Viele waren nachweisbar psychisch gestört. Von Richard Nixon ist bekannt, dass er sogar ohne konkrete Bedrohung damit drohte, den Einsatz von Atomwaffen auszulösen. Wie wäre es dann erst unter Stress? Henry Kissinger schrieb in seinen Memoiren (1979) über Richard Nixon: o „Die Nordvietnamesen haben klar erkannt, dass es erhebliche Meinungsverschiedenheiten zwischen Washington und Saigon gab, und vermuteten wahrscheinlich auch, ganz richtig, was der Kongreß im Januar tun würde. Sie glaubten, jetzt alles erreichen, Saigon demoralisieren und uns zum Nachgeben zwingen zu können. Doch die Nordvietnamesen hatten einen schweren Fehler damit begangen, daß sie Nixon in die Enge trieben. Nixon war niemals gefährlicher, als wenn er glaubte, in seinen Entschlüssen nicht mehr frei zu sein.“
Schach und Poker
Russland war zur Zeit von Nikita Chruschtschow rationaler als heute, sodass Experten im Bereich der Abschreckung tentativ „Russland als Schachspieler und die USA als Pokerspieler“ betrachteten. Beide Ansätze kann man bei Untersuchungen an Hand von „Kriegsspielen“ vorsichtig oder riskant anwenden. Bei „Schachspiel“ könnte es zum Beispiel darauf ankommen, einen momentanen Vorteil nicht zu nutzen, wenn sonst größere Nachteile drohen. Putin „zockt“, er droht mit weiterer Eskalation. Gerade im Bereich von Atomwaffen ist dies gefährlich. An sich gilt, sobald man sich erpressen lässt, hat man schon verloren, für jetzt und für später. Denn sobald man sich auf Eskalation einlässt, kann eine Eigendynamik zur Ausuferung einsetzen, die kaum noch zu stoppen ist.
Erfahrungen im Umgang mit Risiken sollten daher grundsätzlich auf jede vorstellbare Konfrontation Ost/West angewendet werden. Im Umgang mit Putin gilt es, jede unnötige, vor allem jede emotional unübersichtliche Provokation zu vermeiden. Zugleich ist erforderlich Klartext zu reden.
Daher ist richtig, im Kontext des Krieges in der Ukraine mitzuteilen, dass wir die Bundeswehr mit hundert Milliarden Euro besser einsatzfähig machen. Schwieriger ist, eine „fällige“ Modernisierung der deutschen nuklearen Teilhabe als Maßnahme zu einer besseren Eskalationsvermeidung erscheinen zu lassen. Außerdem müssen Sanktionen stark und doch begrenzt wirken. Sobald jedoch bei Putin der Eindruck entsteht, er hätte jetzt weitaus bessere „Erfolgs-Chancen“, als nach ein paar Jahren, könnte es ihn dazu verleiten, sogar NATO Gebiete „rechtzeitig“ anzugreifen – etwa um in Verhandlungen mehr für Russland zu erreichen.
Es geht nicht darum, Putin immer wieder mahnend mitzuteilen, wie kriminell, wie abschreckend und unethisch er auf uns wirkt. Damit bestätigen wir ihm nur, dass ihm gerade seine Vorgehensweise mit seinen Zielen gelingt.
Wie soll man mit jemand umgehen, der geradezu bewusst demonstriert, dass von den Russen unterzeichnete Verträge überhaupt kein friedliches Verhalten garantieren? Im Schachspiel darf es keine „Luftangriffe“ geben, indem man – abseits jeglicher „Spielregeln“ – von Hand Figuren des Gegners vom Schachbrett wirft. Entsprechend wird der russische Krieg in der Ukraine vom Westen aus als Verbrechen verurteilt.
Es ist wichtig umgekehrt zu verstehen, wie Putin die breite Erweiterung der NATO nach Osten als existenzielle und stetig wachsende Bedrohung sieht. In der Sendung „INSIDE NATO“ im Fernsehen beim Sender PHÖNIX, am 4. 3. 2022 abends, wurde betont, dass für Russland ein Vertrauensbruch schlimmer sei, als ein Vertragsbruch! Und mit Einbeziehung einer öffentlichen Äußerung von Dietrich Genscher wurde zweifelsfrei klar, wie in den Ost/West Verhandlungen mit Gorbatschow Russland zugesichert worden war, dass jene Nationen die bis dahin zum Warschauer Pakt gehörten nun nicht zu Mitgliedern der NATO würden. Tatsächlich wurde Russland seitdem immer mehr von NATO-Staaten „eingekesselt“.
Daher ist zumindest nachvollziehbar, dass Putin seine Lage mit jener der USA in der Kuba-Krise vergleicht: „ist das so schwer zu verstehen“ sagte er wörtlich. Für uns mag selbstverständlich sein, dass „jedes freie Land“ einem Bündnis, so der NATO beitreten kann. Für Putin ist die deutliche und engagierte Abkehr der osteuropäischen Staaten, der „alten Freunde Russlands“, mehr als eine Enttäuschung – sie wirkt auf ihn als eine neue und schwere Bedrohung, als ein Beitrag zu einem von der NATO auf Russland zukommender, absichtlicher und voraussehbarer Angriff, bis hin zu einem Genozid. Über die Jahre hat er vergeblich versucht – sogar im Bundestag – uns zu warnen. In der Ukraine versucht er uns seine Entschlossenheit nun mit Gewalt zu demonstrieren.
Gewiss erscheint uns die Angriffs-Praxis von Putin in der Ukraine als Paranoia. Was die Möglichkeit eines Atomkrieges betrifft, da riskiert er, in der Geschichte als der herausragende Kriegsverbrecher dazustehen, weit schlimmer als Hitler: Das sage ich als Child Survivor, der den Holocaust kennt – aber ich war auch in Hiroshima.
Vertrauensbildende Maßnahmen (VBM)
Die Situation ist tragisch für Putin – und ebenso für uns. Denn Vertrauen ist der Kern jeglicher Hoffnung, Atomkriege zu vermeiden.
Nicht mal Trump wollte die Geschäftsbedingungen durch Krieg gefährden, das Gleiche gilt für Xi Jinping. Und Russland will seit Jahrhunderten als gleichwertig akzeptierter Teil von Europa gelten. Aktuell sieht Putin, dass die Bevölkerungen der Länder nahe Russland weder Hitler, noch Stalin – noch Putin – verehren.
Wir dürfen nicht übersehen, dass vor der Wende (mit Gorbatschow) die Russen, etwa in den Baltischen Staaten, gegenüber der dortigen Bevölkerung Vorteile hatten – und nach der Wende umgekehrt. Putin weiß, dass es dort während des II. Weltkrieges Faschisten gab, die als Handlanger der deutschen Nazi-Besatzung mordeten – und damit in der BRD gültige Rentenansprüche erwarben. Es kamen ja durch Adenauer viele Alt-Nazis wieder zurück in deutsche Ministerien. Wir sollten solche Schandtaten nicht leugnen – sondern ehrlich bereuen – nur so können wir den Eindruck von Putin, dass es überall im Westen Faschisten gäbe, wenigstens etwas eindämmen.
Wir sehen jeden Tag im Fernsehen, was die Zerstörung von Lebensgrundlagen bedeutet, so in Syrien, so in der Ukraine. Deshalb, wegen Bedrohungen des Friedens, des Klimas und anderer Lebensgrundlagen wären Bürger wie ich zum Beispiel bereit, nur noch einen Raum in der eigenen Wohnung zu heizen – ich erinnere, das war nach 1945 zwar lästig, es tat weh, und doch war es vergleichsweise harmlos und erträglich.
In unserer Demokratie haben die meisten Wähler solche Härte nicht kennen gelernt. Unsere Politiker meinen entsprechend nach wie vor, sie müssten so tun und agieren, als könnten sie unseren ausufernden Wohlstand geradezu weiterhin garantieren. Trotz hohen Ausgaben wegen Krieg, Klima, Pandemie, Belastungen der Kinder! Von daher ist die Schwäche von Deutschland – und Europa – im Vergleich zu entscheidungs-bereiten Ländern wie China, Russland und USA auffallend.
Putin zerstört sein eigenes Land durch seine gigantische Rüstung. Er hat Russland bis jetzt schon längst viel mehr zerstört, als jegliches Militär es je in einem konventionellen Krieg zerstören würde. Atomkrieg wäre eine andere Größenordnung.
Ich nenne einen Präzedenzfall, indem eine Einsicht gelang: Zwischen Ägypten und Israel gab es vor 50 Jahren einen Rüstungswettlauf. Das arme Ägypten investierte mehr als 5% seines BSP fürs Militär. Ägypten kaufte teure Mirage Flugzeuge, während die Kinder für ein paar Pfennige den ganzen Tag schuften mussten, in großer Hitze und bei schlimmen Seuchen. Der Bevölkerungszuwachs war in Ägypten innerhalb von fünf Jahren(1971-1976) bereits größer, als die Gesamtbevölkerung Israels – die Folge: ein Lehrer für 80 Kinder, praktisch ohne Lehrmittel. Nachdenken (mehr sozial als völkerrechtlich und militärisch-strategisch) zeigte, Ägypten zerstörte sich selbst durch sein eigenes Militär mehr, als es ein Angriff von Israel jemals tun würde. Daraufhin gab es VBM (Vertrauensbildende Maßnahmen) inklusive konkreter Maßnahmen zur Rüstungsbegrenzung.
Der Auflösung der Sowjetunion gingen VBM voraus, auf die sich Russland damals einließ. Vielleicht wurde dadurch sogar in den letzten 30 Jahren der Atomkrieg vermieden. In Russland jedoch sehen viele Gorbatschow kritisch, weil er keinen Vertrag zur Zurückhaltung der NATO in Osteuropa erreicht hatte. Und durch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hatten Länder (und Bürger!) in Osteuropa Geschmack an Demokratie und Freiheit bekommen und sogar darauf hatte sich Russland (zögernd) eingelassen. Inzwischen finden, wie im Kalten Krieg, beide Seiten sehr viel Anlass, die andere Seite als verbrecherisch zu bezeichnen. Wer „mehr Schuld hat“, ist jedoch vor wie nach einem Atomkrieg belanglos.
VBM gelingen nur mit echtem Vertrauen – das muss real und emotional ehrlich aufgebaut werden. Momentan helfen gegen Putin nur reale, seine Macht wirkungsvoll einschränkende Maßnahmen. Und doch begrenzt: ein Atomkrieg, so wie von beiden Seiten übertrieben vorbereitet, wäre das existenzielle Ende für alle.
Wir sollten daher VBM immer im Bewusstsein haben. Nichts sonst könnte Russland so sehr helfen, nichts anderes sehnt Russland im Grunde mehr herbei, als eben glaubwürdige (!) VBM. Es ist deutsche Verantwortung, schließlich sollte 1945 die erste Atombombe in Berlin gegen die Nazis eingesetzt werden. Sie wurde im Manhattan Projekt der USA entwickelt. Sie wurde mit Experten möglich, die Hitler aus Berlin vertrieben hatte. Eben diese Experten quälten sich vor und nach 1945 durch eigene Bedenken, ob die Aufrüstung zur Atombombe richtig war – ganz in ihrem Sinne sollten wir unsere Verantwortung zur Rüstungskontrolle ernst nehmen – sichtbar bis hin zum schwierigen Umgang mit Putin.